Forschungs- und Serviceprojekte der Arbeitsstelle


Laufende Projekte



Abgeschlossene Projekte


Laufende Projekte



Annotierte Bibliographie zur Literaturtheorie (Serviceprojekt der Arbeitsstelle)

Die Online-Datenbank Annotierte Bibliographie zur Literaturtheorie wurde 2007 von der Göttinger Arbeitsstelle für Theorie der Literatur eingerichtet und wird seitdem gepflegt. Es ist eine Datenbank, in der Titel zur aktuellen Literaturtheorie (Beiträge zu verschiedenen Literaturtheorien, deren Bezugstheorien, Interpretationstheorien, zu methodischen Ansätzen u.a.) möglichst vollständig aufgenommen werden. Außer den bibliographischen Angaben enthalten die vollständigen Einträge Schlagwörter und verschiedene Typen von Annotationen, die in unterschiedlichem Maße fachlich aufbereitet sind (von Inhaltsverzeichnissen bis zu Zusammenfassungen des Inhalts) sowie, wenn vorhanden, Verweise auf Rezensionen und weiterführende externe Links. Nutzerinnen und Nutzer können nach Titeln zu einzelnen Theorien, bestimmten Schlagwörtern und Verfassern suchen. In einem Glossar finden sie zudem kurze Bestimmungen wichtiger literaturtheoretischer Fachtermini.

Ziele dieses Projekts: Den Nutzerinnen und Nutzern soll die Möglichkeit gegeben werden,

  • sich schnell einen bibliographischen Überblick über literaturtheoretische Themen zu verschaffen, Literaturlisten zusammenzustellen und zu exportieren und
  • neue Einträge vorzunehmen oder vorhandene Einträge zu ergänzen.

Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler können selbstverständlich auch ihre eigenen literaturtheoretischen Beiträge eintragen.

Die "Annotierte Bibliographie zur Literaturtheorie" ist eine frei zugängliche Online-Bibliographie, die ein breites inhaltliches Spektrum an Literaturtheorien abdeckt. Ihre Daten stehen unter der Creative Commons Lizenz (CC) (Lizenztyp: Namensnennung, keine kommerzielle Nutzung, Weitergabe unter gleichen Bedingungen). Kontinuierlich werden neue Einträge eingegeben und vorhandene Einträge inhaltlich verbessert. Zudem wurde im Frühjahr 2015 ein Update der Software vorgenommen, um die Benutzerfreundlichkeit der Datenbank zu verbessern.

Leitung: Jan Borkowski, Simone Winko



Der Beginn der modernen Lyrik. Literaturgeschichte mittels Textähnlichkeit modellieren (Fotis Jannidis, Würzburg / Simone Winko, Göttingen)

Der Übergang des Realismus, der dominanten Kunstform des 19. Jahrhunderts, zur frühen Moderne an der Wende zum 20. Jahrhundert wurde von den Zeitgenossen damals und seither von der Literaturgeschichte als tiefgreifende Veränderung gesehen, die viele formale und inhaltliche Aspekte betrifft. Das gilt auch für die Lyrik. Aber während heute nur noch eine kleine Gruppe von Dichtern und Gedichten als ‚modern‘ angesehen wird, haben die Zeitgenossen dieses Attribut auf erheblich mehr Texte angewendet, wie man zum Beispiel an den zahlreichen um 1900 veröffentlichten Anthologien mit ‚moderner Lyrik‘ erkennen kann. Eines der Hauptziele unseres Projekts ist es, diese Diskrepanz zu verstehen: Ignoriert die Literaturgeschichte moderne Merkmale in vielen Gedichten um 1900 oder haben die Zeitgenossen Veränderungen und Innovationen wahrgenommen, wo es keine gab?

Um diese Frage zu beantworten, haben wir uns in der ersten Projektphase mit der Ähnlichkeit von Texten befasst: Unsere leitende Annahme ist, dass modernere Texte einander ähnlicher sind als traditionelleren Texten. Ähnlichkeit ist aber immer mit einer bestimmten Perspektive verbunden. Die Dimensionen, unter denen Zeitgenossen und Literaturhistoriker die Hauptunterschiede zwischen der Lyrik des Realismus und der frühen Moderne sehen, sind meist die gleichen: neue Themen, neue Formen und eine neue Art der Darstellung und des Ausdrucks von Emotionen in Gedichten. Wir haben diese Aspekte behandelt und zu diesem Zweck mit unterschiedlich großem Aufwand vorliegende Methoden angepasst bzw. erneuert. Hier geht es zur Projektseite, auf der auch einige unserer Ergebnisse dokumentiert sind.

Das Projekt ist Teil des SPP 2207 "Computational Literary Studies" (CLS)

Mitarbeit im Göttinger Team: Merten Kröncke; Aylin Bozyel, Juljana Battenberg, Jana Eckardt, Marei Garmann, Anina Karch, Dana Kresse, Emilia Kröger, Sandra Pape



Forum Literaturtheorie

Die Veranstaltungsreihe „Forum Literaturtheorie“ ist eine gemeinsame Veranstaltung des Seminars für deutsche Philologie (Universität Göttingen), des Instituts für deutsche Literatur (Humboldt Universität zu Berlin) und des Instituts für Germanistik (Universität Regensburg). Es bietet Promovierenden und Master-Studierenden aller philologischen Fächer die Gelegenheit, eigene Projekte im Bereich der Literaturtheorie vorzustellen und gemeinsam mit anderen zu diskutieren. Die online stattfindenden Workshops sind offen für Vorträge und Präsentationen zu allen Teilgebieten der Literaturtheorie und der literaturbezogenen philosophischen Ästhetik. Fragen der Interpretations-, Fiktionalitäts- und Gattungstheorie können genauso diskutiert werden wie Probleme der Narratologie, der literaturwissenschaftlichen Begriffsbildung, der (literaturwissenschaftlichen) Wissenschaftstheorie etc.

Das Forum soll dem konstruktiven Austausch, der gegenseitigen Vernetzung und der Diskussion von literaturtheoretischen Projekten im Entstehungsprozess dienen. Dabei können sowohl Überlegungen aus Abschluss- und Dissertationsschriften präsentiert werden, die kurz vor dem Abschluss stehen, als auch konzeptionelle Entwürfe zu Arbeiten, die sich noch in der Entstehung befinden. Auch Vorstellungen anderer Projekte, in deren Zentrum allgemeine literaturtheoretische Probleme und Fragen stehen, sind willkommen. Die Veranstaltung bietet ausdrücklich die Gelegenheit, auch unfertige Ideen ‚auszuprobieren‘ und zur Diskussion zu stellen. Interessierte können sich über den Newsletter von H-Germanistik über kommende Veranstaltungen informieren oder sich direkt an das Organisationsteam wenden.

Leitung: Stefan Descher (Göttingen), Eva-Maria Konrad (Berlin), Thomas Petraschka (Regensburg)



Kommentierte Liste mit Webseiten zur Literaturtheorie (Serviceprojekt der Arbeitsstelle)

Die kommentierte Liste bietet eine thematisch geordnete Zusammenstellung von Internetressourcen zur Literaturtheorie. Kurzbeschreibungen der Webseiten sollen eine gezielte Suche ermöglichen. Aufgenommen werden Seiten, die eine wissenschaftliche Grundorientierung haben und sich durch eine hohe Informationsdichte auszeichnen, bevorzugt solche Seiten, die fortlaufend aktualisiert werden. Die Inhalte der meisten Seiten sind kostenfrei zugänglich. Nicht verzeichnet sind kostenpflichtige Online-Zeitschriften.



Literarische Spannung (Tilmann Köppe)

Spannend zu sein ist ein wichtiges ästhetisches Merkmal literarischer Texte. Die Empfindung von Spannung ist ein vom Text ausgelöster Effekt auf Seiten der Leserinnen und Leser. Ziel des Projektes ist, den Zusammenhang zwischen der Sprache eines literarischen Textes und dem Spannungseffekt zu erforschen.
Unsere Ausgangshypothese ist, dass Spannung vom Evozieren und der Beantwortung von Fragen abhängt: Ein spannender Text sorgt dafür, dass der Leser oder die Leserin bestimmte, für wichtig gehaltene Entscheidungsfragen stellt, die aber vom Text erst mit einer gewissen Verzögerung beantwortet werden, so dass die Wahrscheinlichkeit einer positiven und der negativen Antwort im Laufe des Textes fluktuiert.
Im Rahmen des Projektes interessiert uns insbesondere dreierlei: Welche Fragen sind geeignet, Spannung zu erzeugen? Wie genau verzögert ein spannender Text ihre Beantwortung? Was sind die genauen sprachlichen Formulierungen und Merkmale, die dafür sorgen, dass bestimmte Fragen dem Leser oder der Leserin wichtig werden?
Um hier Antworten zu finden, analysieren und vergleichen wir die sprachliche und inhaltliche Struktur spannender und weniger spannender literarischer Texte und führen Experimente durch, bei denen wir messen, wie sich das Spannungserlebnis ändert, wenn wir minimale Änderungen im Text vornehmen. (Website des Projekts)



Das Herstellen von Plausibilität in Interpretationstexten. Untersuchungen zur literaturwissenschaftlichen Argumentationspraxis (Simone Winko)

Das literaturwissenschaftliche Argumentieren ist eine grundlegende Praktik zur Erzeugung und Vermittlung disziplinären Wissens. Wie andere Praktiken auch - etwa das Bibliographieren - weist es Fachspezifika auf, wird allerdings weder in Einführungen in die Arbeitstechniken des Faches vermittelt, noch kann es als erforscht gelten: Das Argumentieren in der Literaturwissenschaft ist bislang nur ausschnittsweise rekonstruiert worden, so dass es weniger gesichertes Wissen als scheinbare Gewissheiten gibt. Eine Bestandsaufnahme ist wichtig, weil sie zum einen das Wissen der Literaturwissenschaftler über die eigenen Praktiken vertieft und damit ein fachgeschichtliches Defizit ausgleicht; zum anderen trägt sie dazu bei, auch ein methodisches Desiderat zu beheben: Bislang liegt kein Instrumentarium vor, mit dessen Hilfe literaturwissenschaftliche Argumentationen auf angemessen komplexe Weise analysiert werden können; für die gesuchte Bestandsaufnahme muss es entwickelt werden.
In dem von der DFG geförderten Projekt wird auf der Basis vorliegender argumentationstheoretischer, philosophischer, rhetorischer und linguistischer Beiträge ein Verfahren zur Analyse literaturwissenschaftlicher Argumentationen erarbeitet, das sich auf das Herstellen von Plausibilität in literaturwissenschaftlichen Beiträgen konzentriert. Es wird eingesetzt, um ein größeres Korpus literaturwissenschaftlicher Interpretationstexte auf ihre im weiteren Sinne argumentativen Mechanismen hin zu untersuchen.

Mitarbeit: Loreen Dalski, Stefan Descher, Fabian Finkendey, Merten Kröncke, Urania Milevski, Julia Wagner



Lyrik-Anthologien: Digitalisierung und Auszeichnung (Simone Winko)

Für das Projekt zum Beginn der modernen Lyrik wird ein großes Korpus an Gedichten benötigt. Zu diesem Zweck wurden in einem ersten Arbeitsschritt (abgeschlossen) zwölf Anthologien zeitgenössischer deutschsprachiger Lyrik um 1900, in einem zweiten Arbeitsschritt neun Lyrikanthologien des Realismus per OCR digitalisiert, Korrektur gelesen und nach TEI-Standards eingerichtet. Die Anthologien werden in das TextGrid Repository integriert.

Mitarbeit: Anthologien um 1900: Isabel Schlie, Lena Walter; Linda Brandt. Anthologien des Realismus: Leonard Konle, Würzburg; Julia Bartels, Juljana Battenberg, Jana Eckardt

Kooperation mit TextGrid und Fotis Jannidis, Lehrstuhl für Computerphilologie und Neuere Deutsche Literaturgeschichte, Würzburg.

Das Projekt ist als Use Case eingebunden in DARIAH-DE III, Cluster 5: Big Data in den Geisteswissenschaften: Topic Modeling




Universitäre Leselisten als Kanonisierungspraktik (Studentisches Projekt)

Projekt
Im Anschluss an ein Seminar zur Praxeologie der Literaturwissenschaft entstand im Sommer 2022 in selbstorganisierter Weiterarbeit ein Projekt zu universitären Leselisten. Das Projekt verfolgt (1) ein Forschungs- und (2) ein praktisches Ziel.

(1) Erforschung des Ist-Zustandes
Unter universitären Leselisten verstehen wir die Handreichungen von Germanistik-Instituten, die ihren Studierenden – mit unterschiedlichem Verpflichtungsgrad – angeben, welche literarischen Texte sie im Laufe ihres Literaturstudiums lesen sollten. Es wurden die 42 Leselisten aus dem deutschsprachigen Bereich einbezogen, die online zur Verfügung stehen. Wir werten diese Listen zur Zeit quantitativ und qualitativ aus und stellen dabei Fragen wie:
- Welche Autor:innen und welche Werktitel werden genannt?
- Welche Gattungen werden wie oft genannt?
- Wie sind die Listen organisiert?
- Welchem Zweck dienen sie?
- Sind die Listen kommentiert und, wenn ja, welche Informationen und Wertungen vermitteln die Kommentare?

(2) Überarbeitung der Göttinger Leseliste
Auf der Basis der Auswertungen wollen wir einen empirisch begründeten Vorschlag für eine verbesserte Leseliste vorlegen. Dabei wird es nicht nur um deren Inhalte, sondern auch eine zeitgemäße Präsentationsform gehen.

Team
In dem Projekt arbeiten Jana Eckardt, Frederik Eicks, Sören Kleist, Julia Wagner und Simone Winko. Bei den quantitativen Auswertungen werden wir von Merten Kröncke unterstützt.

Veranstaltung
Am 22. und 23. Februar 2024 organisieren wir einen Workshop zum Thema „Kanonisierungspraktiken im Literaturstudium“, der nicht nur Leselisten in den Blick nehmen, sondern auch andere studienrelevante Phänomene mit kanonisierenden Effekten wie Semesterprogramme, Zitierverhalten oder die Lesepraxis untersuchen und zur Diskussion stellen soll. Gefragt werden soll darüber hinaus nach dem heutigen Stellenwert von Kanonreflexion und -kritik.
Den Call for Papers finden Sie unter Aktuelles.


Abgeschlossene Projekte



Literatur und Kontext. Untersuchungen zum Text-Kontext-Problem aus textwissenschaftlicher Sicht (Münster: Mentis 2015) (Jan Borkowski)

Die Interpretation literarischer Texte macht es erforderlich, Kontexte einzubeziehen. Kontexte spielen eine zentrale Rolle bei der Feststellung der Bedeutungen, die im Rahmen von Interpretationen typischerweise ermittelt werden. Die Relevanz von Kontexten für die wissenschaftliche Untersuchung von Literatur ist unstrittig, weswegen sie in der fachlichen Praxis in aller Regel berücksichtigt werden. Dieser Schein der Selbstverständlichkeit verschwindet jedoch sehr schnell, wenn man einfache Fragen stellt wie: Was genau heißt eigentlich 'Kontext'? Wie hängen Text und Kontext zusammen? Wie sind Kontexte bei der Interpretation einzubeziehen?

Solche Fragen konstituieren das 'Text-Kontext-Problem'. Es handelt sich um ein textwissenschaftliches Grundlagenproblem, das trotz seiner Wichtigkeit bisher nicht die erforderliche Aufmerksamkeit erhalten hat. In dieser Arbeit wird es zum ersten Mal ausführlich und im Zusammenhang untersucht. Der literaturwissenschaftliche Grundbegriff 'Kontext' wird in operationalisierbarer Weise expliziert, Überlegungen zu einem anschlussfähigen Text-Kontext-Modell werden angestellt und die allgemeine Methodik des Kontextualisierens in Grundzügen charakterisiert.



Relativismus in der Literaturwissenschaft. Studien zu relativistischen Theorien der Interpretation literarischer Texte (Berlin: Erich Schmidt 2017) (Stefan Descher)

Die Dissertation untersucht relativistische Theorien der Interpretation literarischer Texte - solche Theorien also, die entweder die Vorstellung in Zweifel ziehen, es könne objektiv richtige Interpretationen literarischer Texte geben, oder sogar die Beliebigkeit interpretativer Zuschreibungen postulieren bzw. implizieren. Im Zentrum der Arbeit steht die Rekonstruktion und argumentative Beurteilung von vier prominenten Argumentationsstrategien, die zur Begründung einer relativistischen Interpretationskonzeption verfolgt werden können. Diese Strategien werden in exemplarischer Absicht anhand von vier konkreten Interpretationstheorien vorgestellt und diskutiert: am Beispiel des pragmatisch-rezeptionstheoretisch begründeten Relativismus Stanley Fishs, des dekonstruktivistisch begründeten Relativismus Jacques Derridas, des wahrheitstheoretisch begründeten Relativismus von Joseph Margolis und des konstruktivistisch begründeten Relativismus von Michael Krausz.



Grundbegriffe der Narratologie (Tilmann Köppe)

Das Projekt verfolgt die Bestimmung zentraler narratologischer Grundbegriffe. Dabei schlagen wir zwei unterschiedliche Wege ein: (1) Für einige Begriffe (insbesondere: 'Metalepse', 'Erzähler', 'narrative Distanz') wird eine fiktionstheoretische Fundierung gesucht. Dass ein Text z.B. einen fiktiven Erzähler hat, bedeutet, dass der Text der Fiktion zufolge über eine vom Sprecher verschiedene Erzählinstanz verfügt. Standardtheorien fiktionalen Erzählens geben allgemeine Bedingungen dafür an, dass etwas einer Fiktion zufolge der Fall ist. Die Aufgabe des Projektes besteht darin, aus diesen Bedingungen jene spezifischeren Bedingungen zu entwickeln, von denen abhängt, ob ein Text der Fiktion zufolge über einen Erzähler verfügt. (2) Begriffe wie 'narrative closure' oder 'Fokalisierung' identifizieren 'höherstufige' Texteigenschaften, und es ist nicht leicht zu sagen, über genau welche linguistischen 'Oberflächeneigenschaften' ein Erzähltext verfügen muss, damit er z.B. über closure verfügt. Im Rahmen des Projektes versuchen wir, diese Frage einerseits empirisch (durch die Untersuchung eines Textkorpus) und andererseits theoretisch (durch die Modellierung linguistischer Theorien der Textstruktur) zu beantworten.

Mitarbeit: Tobias Klauk, Kooperation mit: Edgar Onea



Sprecherreferenzen in fiktionalen Erzählungen (Tilmann Köppe)

Ist ein Text fiktional, so hat dies Auswirkungen auf verschiedene Aspekte des Textes selbst sowie seiner Äußerungs- und Rezeptionssituation. In der literaturwissenschaftlichen Fiktionstheorie wird meist angenommen, dass erstpersonale deiktische Ausdrücke (z.B. 'ich') außerhalb von Figurenrede nicht als Bezugnahmen des Textproduzenten auf sich selbst verstanden werden können, sondern vielmehr als lediglich der Fiktion zufolge bestehende Selbstbezugnahmen einer fiktiven Erzählinstanz interpretiert werden müssen. Im Rahmen des Projektes soll diese pauschale Annahme durch eine differenziertere ersetzt werden. Grundsätzlich ist fiktionale Rede mit mehreren verschiedenen Interpretationen von Sprecherreferenzen vereinbar. Wir möchten diese Interpretationsoptionen aufzeigen und theoretisch fundieren und zudem klären, von welchen Faktoren die Sprecherreferenzen-Interpretation konkreter Textbeispiele abhängt.

Mitarbeit: Tobias Klauk



Der Einfluss literarischer Wertschätzung auf Rezeption und Interpretation fiktionaler Literatur (Tilmann Köppe)

Fiktionale literarische Werke laden uns dazu ein, fiktive Welten zu erkunden und zu beschreiben. Primäre Quelle dieser vorgestellten Welten sind die Werke selbst; aber nicht immer ist leicht zu sagen, was genau wir uns anhand eines Werkes vorstellen sollen und wie wir es uns vorstellen sollen. Das Projekt untersucht, in welcher Weise Aspekte literarischer oder ästhetischer Wertschätzung beeinflussen, was in einer fiktiven Welt der Fall ist oder wie wir uns vorzustellen haben, was in der fiktiven Welt der Fall ist. Entsprechende Argumente finden sich in der Forschungsliteratur oft: So wird etwa gesagt, eine inhaltsangebende Interpretation A sei gegenüber einer alternativen Interpretation B zu bevorzugen, wenn A das Werk interessanter/ästhetisch anspruchsvoller erscheinen lasse; oder es wird argumentiert, dass bestimmte narrative Strategien wie etwa die interne Fokalisierung einen Einfluss darauf haben, wie wir uns die dargestellten Inhalte vorzustellen haben.

Die Forschungsarbeit wird als Teil des Projektes "The Normative Relations between Fiction, Imagination and Appreciation" von SNF und DFG gefördert. Nähere Informationen unter: https://nrfia.wordpress.com

Kooperation mit Tom Kindt, Fabian Dorsch



Inkonsistente Fiktionen (Tobias Klauk)

Fiktionale Texte entwerfen fiktive Welten unter anderem, indem sie Leser dazu auffordern, sich bestimmte Sachverhalte vorzustellen. Doch oft sind die Gehalte der Vorstellungsaufforderungen widersprüchlich. So mag z.B. in einer Detektivgeschichte zunächst alles darauf hindeuten, dass der Gärtner der Mörder war, später aber finden wir Hinweise, dass der Gärtner nicht der Mörder war, und interpretieren das als einen Hinweis, dass die Postbotin den Mord begangen hat. Widersprüchliche Vorstellungsaufforderungen dieser Art werden im Allgemeinen als unproblematisch empfunden. Manchmal jedoch entwerfen widersprüchliche Vorstellungsaufforderungen eine inkonsistente fiktive Welt, z.B. in einer Detektivgeschichte, in der der Gärtner der Mörder ist und nicht der Mörder ist. Zu klären ist, unter welchen Bedingungen Interpretationen angemessen sein können, die solche inkonsistenten Welten annehmen. Insbesondere lässt sich fragen, welche textuellen, rezeptionspsychologischen und fiktionstheoretischen Aspekte die beiden angesprochenen (und viele weitere) Interpretationsmöglichkeiten unterscheiden.



Studentisches Forschungsprojekt zur "Michael Kohlhaas"-Forschung

Im Wintersemester 2016/17 wurde am Seminar für deutsche Philologie der Universität Göttingen ein studentisches Forschungsprojekt durchgeführt, in dessen Zentrum die Erforschung der literaturwissenschaftlichen Interpretationspraxis stand. Das Projekt trug den Titel "Der Forschungsbezug und seine argumentativen Funktionen in literaturwissenschaftlichen Interpretationen (am Beispiel aktueller Interpretationen von Heinrich v. Kleists 'Michael Kohlhaas')". Fünf Studierende untersuchten anhand eines Korpus von über 70 aktuellen Interpretationen zu "Michael Kohlhaas", wie häufig und in welchem Umfang sich Interpreten der Erzählung mit anderen Interpretationen argumentativ auseinandersetzen. Darüber hinaus wurde auch erhoben, welche Art von Forschungsliteratur Interpreten typischerweise heranziehen, wie häufig sich positive oder negative Bewertungen anderer Forschungsliteratur finden, ob sich auffällige argumentative Muster identifizieren lassen und vieles mehr.

Die leitende Forschungsfrage ging auf ein Seminar aus dem Sommersemester 2016 zurück, das sich mit der Argumentationspraxis in aktuellen "Kohlhaas"-Interpretationen befasste. Ein überraschendes Ergebnis dieses Seminars war, dass in den untersuchten Interpretationen bis auf wenige Ausnahmen keine kritische Auseinandersetzung mit konkurrierenden Forschungsbeiträgen stattfand, und dies obwohl die Erzählung mit über 100 literaturwissenschaftlichen Interpretationen allein in den letzten 20 Jahren zu den meistinterpretierten Texten der deutschen Literatur zählen dürfte. Ziel des Projektes war es nun, durch die Analyse eines repräsentativen Korpus aktueller "Kohlhaas"-Interpretationen zu prüfen, ob sich dieser Befund auch auf breiter Datenbasis bestätigen lässt.

Die Ergebnisse konnten im Rahmen eines Workshops und auf einer öffentlichen Abschlusspräsentation (mit Poster) vorgestellt und diskutiert werden. Ein Projektbericht wurde auf Litlog veröffentlicht. Die Publikation der Ergebnisse ist geplant.

Beteiligte Personen:
Studierende: Fabian Finkendey, Anna-Lena Heckel, Merten Kröncke, Dennis Rey, Stefan Walfort
Leitung: Stefan Descher, Simone Winko

Finanzielle Förderung:
Das Forschungsprojekt fand im Rahmen der Initiative Forschungsorientiertes Lehren und Lernen (FoLL) statt. Es wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur (MWK) sowie durch Studienqualitätsmittel (Göttingen Campus QPlus) gefördert.

Veranstaltungen:

27. März 2017: Workshop mit Dr. Ingo Breuer (Universität zu Köln), Prof. Dr. Fotis Jannidis (Universität Würzburg) und Prof. Dr. Steffen Martus (Humboldt Universität zu Berlin) an der Georg-August-Universität Göttingen

3. Mai 2017: Öffentliche Abschlusspräsentation (Vortrag und Poster) im Adam-von-Trott-Saal der Georg-August-Universität Göttingen

21./22. September 2017: Posterpräsentation auf der Zweiten Konferenz für studentische Forschung an der HU Berlin